Interview mit Dr. Carsten Kuhlgatz im Rahmen der weltweit bedeutendsten Fachmesse für den Gießereisektor, der GIFA, in Düsseldorf

In seinem Interview stellt er klar heraus, wie sich die Branche in den Transformationsprozess einfügt und welche Herausforderungen und Hürden diesem im Wege stehen.

Dr. Carsten Kuhlgatz ist Mitglied des Verwaltungsrates der Hüttenes-Albertus Chemische Werke GmbH und geschäftsführender Gesellschafter der Albertuswerke GmbH sowie Präsident der WFO (World Foundry Organization), Vorstandsvorsitzender des IVG und Vorstandsmitglied von ChemieNord – Arbeitgeberverband für die Chemische Industrie in Norddeutschland e. V. sowie vom Verband der Chemischen Industrie Landesverband Nord e. V.

Dr. Carsten Kuhlgatz (links) und Dr. Sarah Saeidy-Nory (rechts) auf dem Stand der Hüttenes-Albertus Chemische Werke GmbH auf der GIFA 2023.
Wo werden die Produkte der Mitglieder des IVG verwendet?

Die Einsatzgebiete der Produkte der Gießereichemie sind vielfältig und gleichzeitig notwendig für das Erreichen der Ziele der Energiewende und des Green Deals – also für den gesamten Transformationsprozess. Es beginnt bei den kleinen Teilen im Bereich der Haustechnik, wie z. B. Wasserhähnen, Verbindungsstücken oder Wärmepumpen, geht über den Maschinen- und Pumpenbau, wo mittel- bis sehr große, mechanisch hochbelastbare Teile aus Gussteilen benötigt werden, bis hin zur Agrartechnik und Energieerzeugung. Die größten Mengen gehen in den PKW- und LKW-Fahrzeugbau.
Kurzum: Guss ist überall drin. Und noch viel wichtiger: Überall ist somit Gießereichemie drin. Denn ohne eine Form, in die das flüssige Metall gegossen wird, und einen chemisch gebundenen Sandkern gibt es auch kein hohl gegossenes Bauteil.

Wie fügt sich die Branche in den Transformationsprozess ein?
1. Verkehrswende

Der gesamte Gießereisektor ist direkt betroffen vom Transformationsprozess. Wie bereits erwähnt, gehen viele Produkte in den Fahrzeugbau, der sich in den nächsten Jahren in vielen Bereichen grundlegend verändern wird. Natürlich werden Gussteile auch weiterhin benötigt, trotz der Verkehrswende hin zur E-Mobilität. Auch wenn es den typischen Motorblock eines Verbrenners nicht mehr geben wird, sind weiterhin viele Bestandteile eines E-Fahrzeugs aus Gießereierzeugnissen: vom eigentlichen E-Motor über die Kühlung bis hin zu Fahrzeugteilen, die sich nicht groß verändern werden, wie Bremsscheiben und generell hohl gegossene Teile.

Ein neues Feld, welches sich für die Gießereiindustrie im Bereich der E-Mobilität auftut, sind die benötigen Batteriewannen für die Batterien inklusive deren Kühlung, welche sich normalerweise unter dem Fahrzeug befinden und neben dem E-Motor das Herzstück des E-Fahrzeuges sind. Grundsätzlich sind Gießereien bestrebt Komponenten mitzugießen, das heißt z. B. Motorblock zusammen mit Wasserpumpe. Hier bietet die E-Mobilität ebenfalls mannigfaltige Möglichkeiten, wenn z. B. der E-Motor mit einem Getriebe oder die Batteriewanne mit ihrem Kühlsystem gemeinsam gegossen werden oder letztere sogar direkt in die Karosserie integriert werden.

2. Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeitsaspekte sind in der Gießereiindustrie von großer Wichtigkeit. Wir sind stets bestrebt auf organische Bestandteile, welche Emissionen erzeugen, zu verzichten und wenn möglich auf anorganische Bindersysteme umzustellen. Es wird laufend an neuen emissionsarmen Bindersystemen geforscht, die dann zur Marktreife gebracht werden. Der Grundsatz des Energiesparens wohnt jedem Unternehmen schon aus rein ökonomischen Aspekten inne, da gerade – wie wir im vergangenen Jahr schmerzlich erfahren mussten – ein Energiemangel und damit verbundene hohe Energiepreise ein enormer Wettbewerbsnachteil sind.

3. Energiewende

Last but not least: Die Energiewende kann ohne die Gießereien und die Gießereichemie nicht stattfinden. Sogar die wichtigste Komponente, wenn wir an die Transformation und Klimaneutralität denken, kann es ohne Gießereien nicht geben: die erneuerbare Energieerzeugung, die Windkraftanlagen. Denn jede Windkraftanlage beinhaltet ein hochbelastetes Bauteil, das nur gegossen werden kann und nicht durch Kunststoff ersetztbar ist. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Rotornarbe, an der die Rotorblätter angeflanscht werden und die Kraft des Windes auf die Welle zum Generator übertragen wird. Deutschland ist hier noch in einer Führungsposition. Die Gusstechnologie für immer größere und hochbelastbare Rotornaben wurde hier ständig weiterentwickelt. Nennenswerte Kapazitäten für Windkraftguss gibt es nur noch in Spanien und durch Technologietransfer in immer größerer Kapazität auch in China. Hier ist die Politik gefordert, um die in Deutschland durch den fehlenden Bedarf der letzten Jahre stillgelegte Kapazität für Windkraftguss wieder wirtschaftlich sinnvoll zu aktivieren. Dies geht nur durch bereits in der Projektierungsphase erteilte und vom Staat finanziell abgesicherte Aufträge, um die PS schnell auf die Straße, sprich das Stromkabel zu bringen.

Was haben Sie von der diesjährigen GIFA erwartet und worauf waren Sie am meisten gespannt?

Der erste Tag war schon einmal sehr positiv: Wir haben viele Besucher gesehen, die direkt zu Beginn in die Hallen stürmten. Besonders unsere Halle war ein Anlaufpunkt für viele Interessierte. Mir sind sehr viele nicht-europäische Gäste, vor allem aus dem asiatischen Raum, aufgefallen und sogar der koreanische Präsident des Gießereiverbandes war zu Gast.

Es ist besonders wichtig, dass wir uns nach Corona wieder vernetzen, denn der Gießereisektor lebt vom Austausch. Die Zulieferer sind weltweit unterwegs und nutzen eine solche Messe als Come-together, zum Netzwerken und zum Etablieren neuer Kontakte. Verkauft wird von uns kaum etwas. Häufiger können neue Projekte initiiert werden oder es findet eine technische Beratung statt. Die Klientel ist eher kundengeprägt.

Leider beobachten wir wenige Gäste aus dem Automotive-Bereich, da oft strenge Compliance-Regeln vorherrschen, die den zu engen Kontakt mit Lieferanten verbieten, so auch den Besuch auf der Messe. Das empfinde ich als großen Fehler.

Die Gießereibranche, besonders die Gießereichemie, lebt von ihren individuellen Kundenlösungen und geht dabei auf individuelle Problemstellungen ein. Das war immer unsere Stärke. Ohne den engen Kontakt und Austausch können viele Praxisprobleme nur schwer gelöst werden. Wenn der Einkäufer nicht mehr weiß, was im Betrieb los ist und das Produkt nicht mehr kennt, geht vieles nur noch über den Preis und Probleme werden nicht gelöst.

Unser Außendienst und das Produktmanagement bestehen fast ausschließlich aus Gießerei-Ingenieuren oder Chemikern, die entweder schon eine längere Praxiserfahrung in der Gießerei und unserer Entwicklung haben oder als Hochschulabsolventen von den erfahrenen Kollegen geschult werden. Diese können sich mit den technischen Fachleuten bei den Kunden über deren Herausforderungen und Wünsche auf Augenhöhe unterhalten. Am Ende zählt, dass der Kunde ein Produkt oder Verfahren einsetzt, das ihn zufriedenstellt, besser und wettbewerbsfähiger macht sowie die Umweltanforderungen übererfüllt.

Welche Regulatorik stellt momentan die größte Herausforderung für die Branche dar?
1. Im Allgemeinen

Eine gute Frage, eher sollte sie vielleicht lauten: Welche Regulatorik stellt KEINE Herausforderung für die Branche dar? Die Liste wäre kürzer.

Grundsätzlich kann man sagen, dass die Hürde zur Erfüllung von Regulatorik nicht nur national, sondern vor allem auf EU-Ebene mit jedem Jahr immer schwerer zu überwinden ist. Man hat als Unternehmen immer weniger Zeit zur Erfüllung und es kommen immer schneller neue Regularien dazu. Dies ist etwas, was in der EU im internationalen Vergleich leider einmalig ist – vor allem in Zeiten, in denen Unternehmen durch geopolitische Spannungen ohnehin schon benachteiligt sind.

Ein paar konkrete und aktuell anstehende Regularien möchte ich dennoch nennen, die zu großen Herausforderungen bei uns führen werden.

2. Lieferketten

Zum einen das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, da wir uns als Mittelständler außer Stande sehen nachzuvollziehen, was in anderen Ländern bei unseren Lieferanten und wiederum deren Lieferanten geschieht. Die Rohstoffversorgung zurück nach Europa zu holen ist auf der anderen Seite politisch und aus ökologischen Gründen nicht gewünscht. Eine Auflösung dieses Zielkonfliktes wäre daher sehr wünschenswert.

3. Energiepreise

Das Thema Energiepreise hatte ich bereits angesprochen. Hier ist aber nicht nur das Thema Gas von hoher Wichtigkeit, sondern auch Strom. Im internationalen Vergleich sind die Energiekosten in Deutschland momentan nicht wettbewerbsfähig. Ein gut ausgestalteter Transformationsstrompreis könnte vielen in der Branche helfen.

4. Bürokratie und Fachkräftemangel

Ein weiterer großer Bereich ist die überbordende Bürokratie und der damit verbundene Aufwand, der durch Zertifizierungen und Berichterstattung – zum Beispiel zur Nachhaltigkeit des Unternehmens – gefordert ist. Wenn der Nachweis und die Berichterstattung aufwendiger und teurer sind als die Durchführung der nachhaltigen Maßnahme im Unternehmen selbst, sind wir auf dem falschen Weg. Ein besonderes Augenmerk ist in diesem Zusammenhang auf den Fachkräftemangel zu legen. Wenn wir viele Fachkräfte in der Wirtschaft für die Abarbeitung der geforderten Berichterstattung und in der öffentlichen Verwaltung für die Kontrolle dieser Meldungen verschwenden, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass immer weniger Fachkräfte für die wertschöpfenden Tätigkeiten im Unternehmen zur Verfügung stehen. Ein Teufelskreis!

5. Chemikalienregulierung

Besonders belastend sind die ständig steigenden Herausforderungen, die sich aus der Chemikalien- und Umweltpolitik ergeben. Sei es die geplante Registrierungspflicht für Polymere, das PFAS-Verbot oder die Bisphenol-Beschränkung unter REACH, welche alle regulatorische Hürden darstellen, die eine mittelständisch geprägte Branche ins Wanken bringen können.

 

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Dr. Sarah Saeidy-Nory

Geschäftsführerin IVG
Telefon: +49 (0) 511 98490-0
E-Mail: info@giessereichemie.de